Wie bewusstes Atmen hilft, dein Potenzial zu nutzen

Kleine Atempause
Kleine Atempause

Nicht „Ich atme“, sondern „Es atmet mich“.

Mit dem ersten EinATEM betrete ich die Bühne meines Lebens.
Mit dem letzten AusATEM verlasse ich sie.
Und was ist mit meinem Atem dazwischen?

Der Ursprung des Atmens liegt nicht darin, dass wir atmen „lernen“ oder Atemarbeit machen. Sondern: Es beginnt zu atmen. Mit dem ersten Atemzug kommen wir auf die Welt. Bekommen das Leben geschenkt. Der Atem ist ab jetzt unser ständiger Begleiter. Er atmet – aus sich heraus. Einatmen, ausatmen. Mal gleichmäßig, mal angepasst an unsere Bewegungen und Bedürfnisse. Der Atem dehnt sich aus, bündelt sich, dehnt sich wieder aus. Er erschließt sich unterschiedliche Atemräume. Er belebt uns, hält uns am Leben:
scheinbar funktional, beatmet er unseren Körper. 

Dass wir atmen, passiert von Natur aus. Unwillkürlich, autonom und meistens unbewusst. Doch manchmal mischen wir uns auch willentlich ein: zum Beispiel beim Musizieren, beim Sport oder zur Entspannung. Auch, wenn wir eine Emotion ausdrücken oder etwas Bestimmtes darstellen wollen. Jetzt entweichen wir dem natürlichen, fließenden Rhythmus von Spannen und Lösen – und meist steigern wir damit unser Spannungsniveau. Das kann zu innerer Anspannung, dauerhafter Verspannung oder (Fehl-)Haltung führen. Aber darum soll es heute nicht gehen.

Die fünf Wirkweisen des Atems

Atem ist mehr als nur ein funktionales Element, das uns am Leben hält. Gemeinsam mit dir möchte ich verschiedene Wirkweisen des Atems näher betrachten. 

1. Der Atem ist ein Tor zum Augenblick. Kennst du das Phänomen: Du richtest deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem und er hilft dir, ganz im Moment anzukommen? Wach und aufmerksam anwesend zu sein? Feiner und sensibler wahrzunehmen? Durch das Tor des Atems kommen wir ins Hier und Jetzt. In den Augenblick. Zur inneren Ruhe. Zum Bewusstsein des eigenen Erlebens. Herz und Kopf können sich verbinden. Das nährt in uns das Bedürfnis nach Tiefe und bedeutungsvollem Kontakt.

2. Der Atem ist ein Bindeglied. Er schafft eine Verbindung zwischen Innen und Außen. Mit dem Atem bin ich nach außen offen und kontinuierlich aufgefordert, mich dem Neuem zu öffnen. Ich nehme unwiderruflich etwas von außen auf. Nehme etwas an, so wie es ist, und gebe ab. Untrennbar bin ich mit der Natur verbunden, auf sie angewiesen. Und sie auf mich. Ich bin wie in einen Kreislauf eingebettet. Gleichermaßen verbindet der Atem uns Menschen untereinander. Wir teilen dieselbe Luft. Über den Atem jonglieren wir unsere Wörter.

3. Der Atem ist Träger unserer Stimme – und Stimmung. In der Welt des Atems zirkuliert offenkundig und klar spürbar unsere Gefühlswelt. Mal heiter, mal bewölkt. Mal freudig erregt, mal zu Tode betrübt. Jede Art von Gefühl findet seinen Ausdruck im Atem. In der Stimme. In der Bewegung, Mimik, Gestik und Haltung. Selbst im Herzen drücken sich Gefühle aus, zum Beispiel über die Herzfrequenz. Der Ausdruck von Gefühlen ist universell, auch wenn der Kopf sie in unterschiedliche Wörter und Sprachen kleidet.

4. Der Atem ermöglicht Zugang und Kontakt. Nehme ich meinen Atem bewusst wahr, ohne ihn willentlich zu beeinflussen, ermögliche ich mir Zugang, auch Zugang zu Unbewusstem (neurowissenschaftlich: zum Vorbewussten). Öffne ich mich bewusst für meinen Atem, werde ich zum Beobachter meines Atems und Körpers, so komme ich in Kontakt mit Dingen, die mir zuvor nicht oder nicht klar bewusst waren. Das geschieht besonders dann, wenn ich mein Augenmerk darauf richte, wie sich mein Atem entfaltet, wie er meine unterschiedlichen Atemräume nutzt und belebt. Und wenn ich beobachte, wo und wie ich meinen Atem im Gegenzug durch Anspannung, Fehlhaltungen und (alt gelernte) Muster einschränke. Denn unser Körper vergisst nicht. Er speichert unsere Erfahrungen auch in Form von Atemmustern. Schaue ich aufmerksam und genau auf meinen Atem, kann ich mir bewusst machen, was mit Worten bzw. dem Intellekt nicht oder nur schwer erreichbar ist. Das, wozu mir der Atem Zugang verschafft hat, kann ich jetzt aufarbeiten und integrieren.

5. Der Atem ist ein Wechselspiel, lebendig und ganzheitlich. Innere wie äußere Einflüsse prägen letztendlich unseren Atem. Weise, flexibel und lebendig passt der Atem seine Form an den Fluss unseres Lebens mit seinen Geschehnissen an. Wir brauchen nichts dafür zu tun. Der Atem kommt von selbst, vollzieht sich von selbst. Spontan, wenn wir es erlauben. Er ist ein unmittelbares Abbild von uns. Ein Spiegel unserer körperlichen und psychischen Verfassung. Er ist weder richtig oder falsch. Er ist, wie ich bin. Oder wie Norbert Faller sagt: „So wie wir leben, so atmen wir und so wie wir atmen, so leben wir.“ Leben wir verhalten, atmen wir verhalten. Oder atmen wir uns lebendig!

Übung: Öffne dich deinem Atem

Beobachte und erkunde deinen Atem. Es wird dir dabei helfen, dein volles Potenzial zu nutzen. Klingt erstmal unglaublich? Ich habe dir heute eine Übung mitgebracht, die dir erlaubt, dich und deinen Atem besser kennenzulernen. Sie lädt dazu ein, den Atem geschehen zu lassen. Ihm zu vertrauen. Ihn autonom wirken zu lassen. Deinen Atem und deine Atemräume als neugierige:r Beobachter:in zu erkunden. Suche dir eine ruhige Umgebung, in der du dich auf dich selbst fokussieren kannst, und nimm dir etwa 10 Minuten Zeit. Bist du bereit? Dann starte jetzt den Play-Button der Audiodatei.

 

Spüre dieser Übung nach.
Wie hast du sie erlebt?
Hast du etwas Neues an dir entdeckt? Was ist dir jetzt bewusster?
Wie fühlt sich dein Körper jetzt an? Wie empfindet dein Herz?
Hast du Wörter gefunden, um das Kommen und Gehen deines Atems zu beschreiben?

Atme und nutze dein ganzes Potenzial

Das Potenzial von Atemarbeit liegt darin, uns die verschiedenen Atemräume überhaupt einmal (wieder) bewusst zu machen. Denn erst, wenn sie uns bewusst sind, können wir sie auch vollständig nutzen bzw. unseren Atem sie nutzen lassen.

Ein Beispiel: Wenn du dich hinstellst, deinen Kopf hängen lässt und langsam die Wirbelsäule abrollst, bis die Arme fast am Boden sind, dann wirst du vermutlich eine Einengung im Bauch und Unterbauch erfahren. Bei den meisten bleibt der Fokus dort hängen – und damit auch die Luft bzw. Atmung dort „stecken“.

Kann ich meine Atmung fließen lassen, fließt er automatisch in den unteren hinteren Rücken und belebt diesen. Probiere es gerne aus. Wie fühlst du dich
a) nachdem du dich auf die Enge konzentriert und dich willentlich zu weniger Luft gebracht hast (wobei dein inneres Spannungsniveau steigt)?
b) nachdem du den Atem in den unteren hinteren Rückend fließen hast lassen?

Unser Potenzial liegt also darin, dass wir unsere Atemräume vollständig nutzen und uns nicht mit unserem Atem in andere „Abzweige“ verirren. Wer seine Atemräume ganz erschließt, bleibt im Spiel zwischen Spannen und Lösen der Muskulatur und vermeidet damit Verspannungen oder Fehlhaltungen.

Wie immer freue ich mich, wenn du deine Erfahrungen und Empfindungen zum Text und/oder den Übungen mit uns teilst – entweder in den Kommentaren oder in einer persönlichen Mail. Und gönne dir ruhig öfter mal eine solche „Atempause“, wie du sie in der Übung kennengelernt hast. 


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